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Fritz Jordi, Lenins Hausdrucker

Der Bund

 

Le 10-08-2015

Histoire

 

Par Marc Lettau

 

Die publizistische Zentrale des frühen Sowjetrusslands lag in Belp, geleitet von Söhnen eines «Bund»-Schriftsetzers.

Gehts um die geheime sozialistische Friedenskonferenz von 1915 in Zimmerwald, haben sich im Bernbiet viele auf die Formel geeinigt: Man war ja bloss Schauplatz der Geschichte. Die einen betonen damit, dass sie auch heute noch rein gar nichts zu tun haben wollen mit den roten Revolutionären, die damals unerkannt ins Bauerndorf gedrungen waren (siehe «Bund» vom 11. Juni). Die anderen, die Neugierigeren und weniger Erschütterten, schützen sich mit der gleichen Formel vor der allfälligen Unterstellung, sie verklärten die damaligen Sozialisten und Kommunisten.

 

Bloss Schauplatz der Geschichte? Es liesse sich hier – im Sinne eines Einwandes – die Geschichte der Berner «Tagwacht» ausbreiten, die vor und nach der Konferenz weit mehr als bloss die Zuschauerrolle einnahm. Redaktor, Arbeiterführer und Zimmerwald-Organisator Robert Grimm hatte ab 1909 aus der «Tagwacht» ein führendes und international zur Kenntnis genommenes Kampfblatt gemacht, ein Blatt mit Auflagezahlen ähnlich hoch wie die des damaligen «Bund». Da wollte einer nicht nur zuschauen, sondern an der Geschichte mitschreiben.

 

Kämpferischer Utopist

 

Nur ist es gar nicht nötig, vom einstigen Konferenzort Zimmerwald bis nach Bern auszuschwärmen. Um Bemerkenswertes festzustellen, genügt der Abstecher nach Belp: Eine spektakuläre Rolle spielte der dortige Promachos-Verlag. Promachos (griechisch für Vorkämpfer) verlegte ein Werk Grimms, publizierte Lenin, Trotzki, Bucharin. Promachos war zeitweilen der helvetische Hausverlag der russischen Revolution – und das Gesicht dazu ist jenes von Fritz Jordi (1885–1938), einem kämpferischen und von Utopien getriebenen Sprössling aus einer soliden Belper Gewerblerfamilie.

 

Ihren Anfang nahm die Geschichte noch vor der Jahrhundertwende. Senior Friedrich Jordi war Setzer beim «Bund», entschied sich dann aber, in Belp eine eigene Druckerei aufzubauen. Das Unterfangen glückte. Und die fünf Söhne Fritz, Hans, Hugo, Eugen und Emil stiegen zunächst alle ins väterliche Geschäft ein.

 

Vor allem Sohn Fritz wollte aber mehr sein als blosser Setzer und Buchdrucker im väterlichen Betrieb: Während seiner Walz als Druckergeselle sog er, vermutlich in Brandenburg an der Havel, sozialistisches Gedankengut auf – und übertrug das entflammte Feuer zurück in Belp auf seine vier Brüder. Das war rund fünf Jahre vor der Zimmerwalder Konferenz.

 

Kein typischer Proletarier

 

Doch Belp war ein hartes Pflaster für einen, der willens war, in der Arbeiterbewegung Fuss zu fassen. Erste Adresse für den Suchenden und Drängenden war somit die erwähnte «Tagwacht», die ihm eine Stelle als Lektor gewährte. In Briefen an den von ihm bewunderten deutschen Sozialdemokraten Karl Kautsky klagte Jordi aber, dass er nicht am erhofften Ziel sei: In der «Tagwacht» lasse man ihn als Schreiber nicht zum Zuge kommen.

 

Jordi, der in Sachen Weltveränderung seine Stimme erheben wollte, machte zwei Erfahrungen. Erstens gab es im gewachsenen, inneren Zirkel der bernischen Sozialdemokratie nur wenig Platz für unkonventionelle Quereinsteiger. Zweitens befand sich Jordi ein wenig zwischen Stuhl und Bank. Als Gewerblersohn war er nicht der reine Lohnarbeiter, denn mit ihrer Druckerei hatte der Familienbetrieb Jordi ja «Eigentum an den Produktionsmitteln». Jordi war weder typischer Proletarier noch typisch linker Intellektueller. Der Ausweg für den Kämpfer hiess zunächst Vorkämpfer – Promachos.

 

Für Historikerin Ayse Turcan, die an der Universität Bern unter anderem über den in Vergessenheit geratenen Belper forscht (siehe Kasten), war die Gründung des Promachos-Verlags, den Fritz Jordi primär zusammen mit seinem Bruder Hans leitete, «auch eine Art Selbsthilfe». Jordi schuf sich eine Rolle, die es in der Arbeiterbewegung so noch nicht gab.

 

Werbeoffensive der Bolschewiki

 

Zunächst blieb das Feld, auf dem Promachos kämpfen konnte, klein. Der Katalog der publizierten Schriften blieb schmal. Doch 1918 kam der steile Aufstieg. Im Mai 1918 installierte sich in Bern die Sowjetmission, die quasi Gesandtschaft des von der Schweiz nicht anerkannten Sowjetrusslands, dem Vorläuferstaat der 1922 gegründeten UdSSR.

 

Die Bolschewiki richteten in Bern subito ein publikationsfreudiges Nachrichtenbüro ein – was dem Promachos-Verlag zu einem enormen, aber auch kurzen Höhenflug verhalf. Für Lenin, Trotzki, Bucharin & Co. ratterten die Druckmaschinen jetzt auf Hochtouren. Für Historikerin Turcan eine durchaus bemerkenswerte Situation: «Eine kleine Druckerei in dem damals noch kleinen Dorf übernimmt eine für die Bolschewiki doch sehr zentrale Aufgabe.» Die Auflagen der revolutionären Schriften war hoch. Bald reichten die Druckmaschinen in Belp nicht mehr aus. Jordi liess in Basel und Zürich drucken.

 

Bundesanwaltschaft greift ein

 

Das Glück war von kurzer Dauer. Im November 1918 – kurz vor dem Schweizerischen Landesstreik – intervenierte die Bundesanwaltschaft. Die Sowjetmission wurde geschlossen. Und bei Promachos beschlagnahmte sie die Korrespondenz und das gedruckte sowjetische Propagandamaterial – und ordnete die Schliessung des Verlags an. Vater Friedrich Jordi und Sohn Hans wurden einvernommen.

 

Doch Fritz Jordi, der leidenschaftlichste Sowjetfreund im Hause Jordi, stand nicht im Fokus der Bundesanwaltschaft. Er war zuvor nach Biel gezügelt – und behielt dort unbeirrt den eingeschlagenen Weg bei: Fritz Jordi publizierte weiterhin unter dem Namen Promachos, baute in Biel die Genossenschaftsdruckerei und das «Arbeiter-Blatt» auf, war politisch aktiv – und rückte dabei von links nach noch weiter links: Er trat aus der SP aus und – nach dem Landesstreik – in die Kommunistische Partei der Schweiz ein. Und als Kommunist reiste er 1921 an den III. Kongress der Kommunistischen Internationalen nach Moskau.

 

Utopia oberhalb von Ascona

 

In seinem Tagebuch schlug sich die Reise ins gelobte Land als Mischung aus Begeisterung und Ernüchterung nieder. Vielleicht würde Jordi zu den ganz Vergessenen gehören, hätte er zurück aus Moskau nicht erst recht auf ein irdisches Utopia hingearbeitet: Er erwarb ob Ronco bei Ascona das kleine Ruinendörfchen Fontana Martina, wollte dort – unter anderem mit dem deutschen Sozialisten und Künstler Heinrich Vogeler – eine Kommune aufbauen, halb Künstlerkolonie, halb landwirtschaftliche Genossenschaft.

 

Insbesondere deutsche Künstler und Persönlichkeiten kamen und gingen, renovierten und politisierten, derweil sich Fritz Jordi an sein Metier erinnerte. Er richtete eine Druckerei ein, die «Bergpresse Fontana Martina». Die hier gedruckte Zeitschrift erreichte zwar nicht mehr derart rekordverdächtige Auflagen wie die seinerzeitige Sowjetpropaganda. Dafür folgte sie einem bemerkenswerten künstlerischen Anspruch. Sozialistische Ideen mischten sich hier mit kunstvollen Holzschnitten und Grafiken und Abhandlungen übers alternative Siedlerleben.

 

Der Traum endete. Eine Rolle spielte dabei die Nähe zum faschistischen Italien. Insbesondere den zumeist linken Gästen aus Deutschland wurde Fontana Martina ein zu heisses Pflaster. Fritz Jordi starb erst 53-jährig in seinem Utopistendorf. Zwei seiner Grosskinder leben heute noch dort.

 

Bodenständige Träumer

 

Und was ist aus dem Familienbetrieb geworden, den Fritz Jordis Vater – der einstige «Bund»-Setzer Friedrich Jordi – in Belp gegründet hatte? Das Familienunternehmen ist Familienunternehmen geblieben.

 

Jordi druckt und verlegt auch heute noch. Nichts mahnt an Sowjet­nostalgie. Vom Träumen ist in der Firmenkommunikation aber immer noch die Rede: «Uns gibt es seit 1897. Und das nur deshalb, weil wir immer wieder zu träumen wagten, ohne den Boden unter den Füssen zu verlieren.» Lektüre für sozialistische Weltveränderer verlegt Jordi Druck keine. Zu den Titeln, die heute im Hause entstehen, zählen «Naturfreund», «Aerorevue», «Gantrischpost», «Kirche und Welt» und weitere «werteorientierte Zeitschriften» (Der Bund)

 

A voir ici

 

 

 

 



08/11/2015
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